Die Schatzhöhle im Reiting
Der mächtige Bergstock des Reiting liegt zwischen Kammern, Mautern und Trofaiach. An der nordwestlichen Seite fallen die Felswände und Geröllhalden steil in den Gößgraben und in die Reitingau ab. Gegenüber liegend in Richtung Kammern und Gai dehnt er sich eher sanft in das Liesingtal hinab aus. Zahlreiche Quellen sprudeln aus seinem Inneren hervor und versorgen die Bevölkerung der umliegenden Gemeinden mit vorzüglichem Quellwasser.
Kein Wunder, dass so die Erzählungen über ein weitläufiges Gewässer in seinem Inneren wach gehalten werden, bestärkt durch Naturereignisse wie den großen Wasserausbruch oberhalb der Kammerer Höhe im Jahre 1907. So machten sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Leute auf die Suche nach Öffnungen, nach Höhlen, kurz nach einem Zugang zu diesem geheimnisvollen und zauberhaften See im Berginneren.
Einst machte sich ein beherzter Mann aus Kammern auf und fand tatsächlich eine Höhle, die den Eingang in den Berg bildete. Er hatte sich gut vorbereitet und zog so zum Schutze gegen die im Berginneren erwarteten erzürnten Geister ein neues weißes Leinenhemd über sein Gewand und steckte vier geweihte Wachskerzen ein, um so vor allen bösen Anschlägen gefeit zu sein.
Ganz langsam und vorsichtig bewegte er sich in den Berg hinein. Es dauerte nicht lange und er gelangte zu einem großen See und tatsächlich fand er an dessen Ufer einen Kahn vor. Diesen bestieg er und glitt sachte über den spiegelnden See, dessen Ende nicht ersichtlich war. Große blinde Fische schwammen darin.
Plötzlich ein Ruck, der Kahn war auf den felsigen Grund aufgelaufen. Das Licht der Laterne erlosch, überall war es stockfinster. Aus dem Wasser aufsteigende Dünste der “Döll”, hatten das flackernde Laternenlicht zum Verlöschen gebracht. Ratlos blickte der Mann umher.
Im nächsten Augenblick wurde es hell, ein eigenartiger Lichtschein glitt über das Wasser des Sees und bestrahlte die Felswände. Es machte sich eine geheimnisvolle Stimmung breit. Und vor dem Mann richtete sich plötzlich, in riesiger Gestalt, drohend und finster dreinblickend, der Berggeist auf.
„Was schaffst du hier?“ Ertönte seine grollende Stimme. „Durch den Berg wollte ich ins andere Tal hindurchfahren. Als ich hier fuhr, verlosch mein Licht.“ erwiderte der Mann und fuhr mutig fort: "Glaube aber nicht, dass ich mich fürchte, ich habe vier geweihte Kerzen bei mir.”
„Du hast Glück, dass du ein neues weißes Gewand übergezogen hast und geweihte Kerzen bei dir trägst, sonst hätte ich dich in Stücke gerissen. Kein Sterblicher darf diese Räume betreten und wehe dem, der es dennoch übermütig wagt! Aber komm mit mir! Wenn du schon einmal da bist, will ich dich im Berg herumführen und dir alles zeigen. Der Karfunkelstein, den ich habe, leuchtet hell im Dunkel. Du wirst genug Gold, Silber und edles Gestein sehen. Aber´nimm nicht mehr aus dem Berge mit, als an deinem Rock hängen bleibt.“
Der Mann bekam es nun aber doch mit der Angst zu tun, es war ihm nicht ganz geheuer, er wäre lieber umgekehrt. So meinte er, nicht mitgehen zu können, da er nichts zum Essen mithabe. Der Berggeist aber meinte: „Das soll dich nicht kümmern, solange du bei mir bist, wirst du mit allem versorgt sein", wandte sich um und schritt voraus.
Gold und Silber hingen in langen Zapfen von der hohen Decke und den Wänden. An den vorspringenden Felsen und an den Wänden strahlten bunte Edel- und Karfunkelsteine. Auch der See erstrahlte bis auf den Grund wie hellster Kristall, Gold, Silber und das Gefunkel der Steine spiegelte sich im Wasser. Vor allem Schauen und Staunen wurde der Mann nicht müde. Es dauerte drei volle Jahre, bis er alles gesehen hatte und im gesamten Inneren des Reiting herumgekommen war.
Der Berggeist war inzwischen sehr umgänglich geworden und führte endlich den Mann wieder aus dem Berg hinaus. Dort zeigte er ihm noch einen sicheren Heimweg, verbot ihm aber streng, sich auch nur ein einziges Mal umzusehen.
Der Kammerer machte sich auf den Weg, hielt der Neugierde aber doch nicht stand. Nach einem Stück des Weges drehte er sich doch um. Doch als er das Felsentor, das er soeben verlassen hatte, suchte, sah er nichts mehr. Alles ringsherum hatte sich verändert, keine Höhle, nicht einmal ein Felsspalt waren zu sehen.
Als er schließlich heimkam, fand er alles so vor, als wäre er nur einen Tag weg gewesen, seine Familie wollte wissen, ob er den See im Reiting gefunden habe. Bevor er zu erzählen anfing, zog er sein Hemd aus - und zu seiner großen Freude war es auf und auf mit Goldstaub bedeckt. Mit dem Geld, das er dafür erhielt, konnte er mit seiner Familie sorglos bis an sein Ende leben.