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Die „Frau Doktorin“

Eine andere, weit über die Marken Kammerns bekannte und berühmte Persönlichkeit war die „Frau Urschel“ oder „Frau Doktorin“, nämlich die Ursula Schlager auf dem „Sagmeistergute“. Geht man nämlich über Glarsdorf nach Trofaiach, so passiert man zuerst unter Dirnsdorf ein Gasthaus vlgo Ahsl. Schon einige Schritte nach diesem Ahsl senkt sich die Straße in ein etwas vertieftes Terrain, ein kleines Industrieviertel, wo Mühlen klappern und eine große Holzsäge kreischt, hier ist rechter Hand ein sauberes Gebäude an die kleine Bergwand gelehnt. Das "Sagmeister" Haus (Hausname ist eigentlich Friedlhöfler).

Da konnte man zu Zeiten viele Weibleins, welche mit geheimnisvollen Handkörben versehen waren, und allerlei, zwar lebendige, aber sehr bresthafte Menschenfiguren frühmorgens ins Haus schlüpfen und huschen sehen, um sich bei der Sagmeisterin über Liebesnöte Rat zu erholen. Die war aber auch gar hoch berühmt, schien als Wunderdoktorin ausgeschrien und erhielt Klienten und Patienten in Hülle und Fülle, sogar aus Tirol, Ungarn und Österreich, und wer sich nicht selbst in Person zur Diagnose stellen konnte, schickte wenigstens seinen Urin, welches Geschäft in der Regel durch eigene Boten eilends besorgt wurde, welche oft alle Urinfläschchen einer ganzen Gegend in ihre Kübleins zusammennahmen und damit oft nachts weit übers Gebirg auf beschwerlichen Wegen der Frau Urschel zustürmten.

Als Hausfreund betrete ich die Familienstube und jetzt zugleich Ordinationszimmer, betrachte das Heer hoffnungsvoller Klienten, die mit heiliger Scheu und in bester Erwartung zur Frau Urschel gepilgert waren, mustere auch die Legion der Harnfläschchen, die auf den Fensterbänken herumstehen und deren Inhalt alle Regenbogenfarben aufweist und schaue endlich auch die Wunderdoktorin selbst an, die mit kundigem Blicke den Urin prüft und mit kreischender Stimme und ihrer resoluten Weise diagnostiziert und ordiniert und schließlich ihre Wundertees etc. verteilt. Allerdings leiden ihre Diagnosen an einer gewissen Einförmigkeit und wiederholen sich auch ihre medizinischen Orakelsprüche ziemlich oft, ja wird sie auch von den zünftigen Söhnen des Hypokrates nicht als ebenbürtige Kollegin anerkannt, ja im Gegenteil als Kurpfuscherin verfolgt, so verschlägt dies gar nichts im Volke, sondern im Gegenteil es erhöht ihren Nimbus, den sie nicht etwa bloß in den Augen gemeiner, sondern auch besser Leute hat, denn man sieht nach den Zügen von Seiz herauf nicht selten sogar noble Frauengewänder verstohlen heraufwandeln. Sonderbar ist nur das eine, dass sie gerade bei so genannten Seelkrankheiten, die den studierten Arzt zur Verzweiflung bringen, oft sehr schöne Erfolge gehabt haben soll.

Sicherlich hätte sie sich ein schönes Vermögen durch die Kurpfuscherei erworben, wenn sie nicht so freigiebig (auch gegen Klerus und Kirche war sie sehr wohlwollend) und samt ihrem Manne und zwei Söhnen so durstig gewesen wäre. Ihre Praxis wurde sehr geschmälert, als sie mehrere Male nacheinander strafgerichtlich verfolgt wurde, wobei sie sich allerdings ihr Los selbst noch verschlimmerte, weil sie einen Gendarm von Mautern, der in dem ihren Hause gegenüberliegenden Wald zur Beobachtung der Patienten postiert war, öffentlich im Gasthause tüchtig zusammenschimpfte. Am meisten wurde sie vom Bezirksphysikus und von einem Arzt verfolgt, besonders als sich das Gerücht verbreitete, sie habe letzteren (durch eine heimlich von seiner Frau verlangte Medizin) aus schwerer Krankheit gerettet!

Auch ihr Vater war schon ein berühmter Kurpfuscher. Übrigens hatte sie auch in der Pfarre selbst noch Kolleginnen unter denen die berühmteste eine frühere Arzteswitwe war, in deren Haus zugleich der angestellte Arzt wohnte! So etwas ist gar wundervoll.