Der Ehrenfelser
(Alois Mair-Weinberger)
Herr Ehrenfelser, brüstet ihr Euch,
Dass ihr ein Graf seid und ein Räuber zugleich?
Wohl steht Eure Burg wie ein Adlernest,
Unbezwingbar, trotzig und fest,
Und Eure Türme, Raum an Raum,
Fassen die Räuberschätze kaum.
Der Raubgraf gibt für diese Nacht
Ein Festgelage voll düsterer Pracht.
Die eichenen Tische biegen sich fast
Von der duftenden, leckeren Speiselast.
Was gleißen die Becher in Gold und Gestein,
Daraus ihr verschüttet den schäumenden Wein?
Wer dient Euch so bang, wer dient Euch zu bleich,
Als kämen sie aus dem Totenreich?
Künd, Ehrenfelser, was das soll,
Sie schenken so traurig die Becher voll.
Tragen den Tod sie in der Brust?
Sind sie die Sklaven deiner Lust?
Es lacht der Graf: "Da drunten im Tal,
Da fing und raubt ich sie allzumal.
Sie hausen des Tages im Burgverlies,
Nachts dienen sie hier im Paradies.
Und wer nicht will, und wer nicht mag,
Erlebt nicht leicht mehr einen Tag."
Woher ist der Decken schwerer Glast,
Der rote, schimmernde Seidendamast,
Und Eure Kleider, goldgestickt,
Wer hat Euch die auf die Burg geschickt?
Und wo, Herr Raubgraf, wachsen und blühn
Dieser Smaragd und dieser Rubin?
"Wer fragt darnach? Wen geht?s was an?
Wer?s wissen will, wohlan, wohlan!
Mein scharfes Schwert, so rot vom Blut
Und meine Faust, die wissens gut,
Und meiner Kumpane hochedle Schar,
Die wissens auch, das ist doch klar.
Und nun, Kumpane, gezecht und geschmaust,
Wem?s nicht vor dem duftenden Raubmahl graust,
So fromm sind wir nicht und auch nicht so bang,
Wir freuen uns auf den nächsten Gang.
Vielleicht, Kumpane, haben wir Glück
Und kommen mit einem Bischof zurück."
Hei, wie das die Kumpane traf:
"Es lebe der Ehrenfelser Graf!"
Sie schwingen die Becher und rufens laut,
Und von den Wäldern das Echo taut:
Vielleicht, Kumpane, haben wir Glück
Und kommen mit einem Bischof zurück.
Da öffnet die Tür sich, ein Eremit
Tritt in den Saal mit ernstem Schritt,
Weiß wallt sein Haar, weiß wallt sein Bart,
Als wär er ein Waller geheimer Art.
Das raue Habit streift den Fuß,
Er spricht wohl vernehmlich den heiligen Gruß.
Der Raubgraf lacht und schlägt auf den Tisch:
"Bin ich ein Männlein, bin ich ein Fisch?
Kumpane, seht, ein Komödiant
Ist zu uns kommen vom himmlischen Land.
Der fromme Bruder machts uns leicht,
Er absolviert uns ohne Beicht.
He! legt ihn in Ketten, den elenden Wurm,
Werft ihn in unseren tiefsten Turm!
Ein Ehrenfelser Graf, der lässt
Sich nicht ungestraft stören bei Schmaus und Fest.
Für deine fromme Mission,
Zahlt dir der Turm den besten Lohn."
Der Eremit, der rührt sich nicht,
Sein Haar strahlt silbern im Kerzenlicht.
"Frischauf, Kumpane, fasst ihn gleich!"
Befiehlt der Raubgraf zornig und bleich.
Doch keiner rührt seine Räuberhand
Und jeder ist wie festgebannt.
Und alles starrt, der Bruder spricht,
Umstrahlt vom schimmernden Kerzenlicht:
"Du, Raubgraf, der Letzte auf Ehrenfels hier,
Ich stehe als Kläger und Richter vor dir.
Talauf, talab und fort und fort
Stiftest Du Unheil, Verderben und Mord.
Du schändest die Unschuld, Du brichst das Recht,
Du würgst den Herrn, du würgst den Knecht,
Du treibst den Bauern vom fleißigen Pflug,
An Raubzeug hast Du nie genug.
Du plünderst im Tal das Gotteshaus.
Nun löscht der Herr Deine Fackel aus."
Vom Burghof schreitet der Eremit,
Er nimmt die armen Gefangenen mit.
Doch droben im Saal, beim düsteren Mahl,
Da traf den Grafen der rächende Stahl;
Das eigene Schwert stak in seiner Brust,
und wer es getan, hat niemand gewusst.