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Der Kindssturz auf Kammerstein

Es war in den trüben Tagen des Faustrechtes, als auf der unbezwinglichen Veste Kammerstein ein rauflustiger Ritter hauste, finster und rau, wie die Felsen, auf denen seine Burg thronte, streitsüchtig und mürrisch, wie der benachbarte Bach, welcher in die Liesing rauscht, und wie die Zeitgenossen, welche ihn umgaben, meistenteils waren, ein ziemlich großer Freund von dem Vergnügen, in welchem es zerklopfte Harnische und Wunden gab. Glich er dem stürmischen Spätherbste, so war seine Gattin Emma ein stilles Bild des milden wohltätigen Sommers; wo er Wunden schlug, brachte sie Heilung oder wenigsten Linderung; wo er kränkte und beleidigte, spendete sie Trost und Hilfe; kurz, war Herr Hainze der Schrecken seiner Nachbarn, die drohende Wolke über dem Pfade des Wanderers, so war Frau Emma der Engel der Hoffnung, der leitende Stern der Verirrten.

Einst kehrte Hainze wieder von einem Raubzuge heim und leerte, mürrischer als je, Humpen auf Humpen. Plötzlich stieß er den silbernen Becher auf den Eichentisch, dass die Halle dröhnte; erschrocken sprang Emma auf und beruhigte das kleine Töchterchen, die schreiende Else. “Aber, lieber Herr und Gemahl, wie hast du mich erschreckt!” klagte sie und die kleine noch mehr. “Was hast du doch, das dich heute so unwillig stimmt; vertraue mir deinen Kummer, Du weißt ja, dass ich nie unempfindlich, nie mürrisch gegen dich war!”

Da begann der Ritter schrecklich zu schwören, doch die sanfte Burgfrau bat: “Halt ein, schwöre nicht! Gegen wen immer du einen rauen Entschluss fasstest, und ob er ihn hundertfach verdiene, folge mir und schwöre nicht!” “Nun, beim Pferdefuß des Satans! unter den Kaufleuten, deren schwere Säcke ich heute mit meinen Genossen erleichterte, befindet sich eine morsche Kröte von einem Menschen, anders kann ich den elenden, mondsüchtigen, halbverkrüppelten alten Pilger nicht nennen; der Kerl erdreistete sich, mich mitten in der Plünderung mit argen Worten zur Rede stellen. Dafür ließ ich durch meine Trossbuben den unberufenen Prediger ein paar Rehfüße mit den daran haftenden Peitschen aufwarten.

Doch noch nicht zufrieden, warf sich der blödsinnige Kerl gewaltig in die Brust und schrie: “Nur zu, die Zeit ist gar nicht fern, wo ihr mit Vergnügen eure jetzige Lebensart freiwillig ablegen, wo ihr euch gerne eine Glatze scheren würdet, wenn nur ein Übel abgewendet werden könnte.”

Solche Unkentöne, solches Rabengekrächze kann ich nun ein für alle Mal nicht leiden, und darum nimm mirs nicht übel, der Kerl soll und muss mir im Burghofe bei langsamen Feuer braten.” -

Da warf sich Frau Emma ihrem Gemahle entgegen. “Nur über meine und meines Kinde Leiche geht dein Weg zur großen Sünde”, sprach sie und umfasste mit ihren Armen fest den Ritter, dessen Blut nun bald ruhiger wurde; er gelobte, nichts gegen den Pilger zu unternehmen, ohne es ihr früher mitzuteilen. Mehr aber konnte Frau Emma zu Gunsten des Gefangenen von ihrem Gatten nicht erwirken, nicht einmal ein menschenwürdigeres Gefängnis. So oft die sanfte Frau im Gespräche mit dem rauen Ritter diese Seite berührte, wurde er unwirsch und grollte: “Der Kerl soll selbst bitten! Solange der müßige Landstreicher zu stolz ist, persönlich meine Milde in Anspruch zu nehmen, so lange mag er es angenehm finden, im finsteren Gewölbe den Unken und Echsen Gesellschaft zu leisten!”

Monden waren vergangen und der holde Frühling verklärte wieder die Gegend. Den ganzen Winter hatte es die sanfte Frau versucht, ihren Gemahl sanfter zu stimmen, aber es war vergebens.

Als einst das eheliche Ritterpaar Hand in Hand im traulichen Gespräche durch den Burgwald wandelte, wusste die kluge Schlossfrau die Wendung des Gespräches auf den armen gefangenen Pilger zu bringen. Der Ritter runzelte da die Stirne, welche von der Röte des heftigen Zornes glühte. “Und nein! sage ich dir,” donnerte er seine Gattin an, “der unberufene Prophet bleibt mit so lange im Verließe, bis die Zeit gekommen ist, in welcher mein Gemüt weich werden sollte wie das Herz eines Rehes.” Nach diesen Worten traten sie aus dem Walde auf eine freie Stelle, von welcher sie die weitschauenden Söller ihrer Burg, hoch oben auf dem steilen Felsen, erblickten. Da hörten sie eine weiche Stimme herabrufen und erbleichend rief einer Ohnmacht nahe, die Mutter: “Hilf, heiliger Himmel! dort am Fenster des Söllers steht, ohne alle Aufsicht, unser Kind, unsere Else.” Der Ritter blickte bei diesen schrecklichen Worten zur Burg hinan und gewahrte zu seinem größten Entsetzen, wie sein Töchterlein die unten im Tale wandelnden Eltern anrief, nach ihnen seine zarten Ärmlein ausstreckte und, dabei sich zu weit ausbeugend, in die furchtbare Tiefe stürzte.

Jetzt erkannte der Ritter darin die Strafe des Himmels für seine Härte; von Herzen alle seine bösen Taten bereuend, gelobte er stille für sich gänzliche Besserung, wenn sein Kind am Leben bliebe. Uns siehe! Als die tiefbetrübten Eltern zur Stelle eilten, wo das Kind zur Erde gestürzt sein musste, sahen sie zu ihrem größten Entzücken das kleine Mädchen auf feuchtem weichen Moose sitzen und mit den Blumen spielen; der Wind hatte sich beim tiefen Fall des Kindes in dessen Kleidern verfangen und es so langsam und unverletzt zur Erde hinabgleiten lassen.

Im Jubel wurde das so wunderbar gerettete Kind von den Eltern umarmt und geküsst und dann vom überglücklichen Vater zur Burg hinaufgetragen. Hier angelangt war sein erstes Wort der Befehl, den gefangenen Pilger frei zu lassen; der Ritter beschenkte denselben auf das Freigiebigste und entließ ihn dann, nachdem er ihm noch für die ihm angetanen Unbilden Abbitte geleistet. Auch ließ er zum Andenken an diese wunderbare Rettung seines geliebten Kindes eine Kapelle erbauen und darinnen ein von einem wälschen Maler ausgeführtes Bild, den Sturz des Kindes darstellend, aufhängen.

Seitdem hatte sich auch des Ritters wilde Raubsucht in milde Freigiebigkeit, seine Rohheit in weiche Gutmütigkeit verwandelt, darüber niemand glücklicher und froher war, als Frau Emma, des Ritters holde Gattin.